Situationen, zu denen es nur in Alpbach kommt: Während des Empfangs zu den Tirol-Tagen gesellte sich ein Herr an unseren Tisch und begann ein zwangloses Gespräch. Im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass es sich dabei um Hermann Weratschnig, Grüner Nationalratsabgeordneter aus Tirol, handelte. Aus einem interessanten Austausch im kleinen Kreis entwickelte sich die Idee, ein Kamingespräch zu veranstalten, das gemeinsam mit dem Club Alpbach Tirol ausgerichtet wurde. Dieses rief dann viele verschiedene Reaktionen unter den StipendiatInnen hervor: von erfrischend ehrlich über deprimierend bis hin zu unglaublich spannend. Hermann Weratschnig erzählte sehr offen und authentisch vom Alltag in der österreichischen Politik. Detailliert besprochen wurde dabei das Klimaticket, das erst wenige Wochen zuvor vorgestellt wurde.
Weratschnig gewährte uns einen Einblick in die Wirkungsmechanismen der österreichischen Politik, die sonst im Verborgenen bleiben. Natürlich musste sich Weratschnig auch kritischen Fragen stellen, die sich insbesondere um die Grüne Partei als „Steigbügelhalterin” der ÖVP drehten. Themen, die diesbezüglich angesprochen wurden, waren die Situation in Afghanistan und Österreichs Reaktion darauf, das Rettungspaket für die Austrian Airlines sowie die unterbliebene Verlängerung des Ibiza-Untersuchungsausschusses. Weratschnig erwähnte auch, dass Angelegenheiten, die durch die Grüne Regierungsbeteiligung verhindert werden konnten, für die Öffentlichkeit nicht sichtbar seien und der Koalitionsvertrag Parteien aus gutem Grund an ein bestimmtes Abstimmungsverhalten binde. Spannend war auch die Frage nach Unterschieden zwischen der politischen Arbeit im Landtag und im Nationalrat.Für einige TeilnehmerInnen am Gespräch mag es einen bitteren Beigeschmack gehabt haben, in die Untiefen der politischen Vorgänge in Österreich zu blicken. Für andere wiederum war es spannend zu sehen, wie sich der Juniorpartner einer Regierungskoalition gegen den Seniorpartner durchzusetzen versucht. Abschließend bleibt der Eindruck, dass in
Österreich zurzeit keine andere realistische Regierungskoalition möglich ist und deshalb viele Fehltritte und Unstimmigkeiten aus Rücksicht auf den Koalitionsfrieden ignoriert werden.
Vera Flatz, Stipendiatin 2021