„Unser Plan ist keine Gesamtschule“

Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner galt lange Zeit als Verfechter der Gesamtschule, auch noch, als sich die neue Bundesregierung bereits dagegen ausgesprochen hatte. Wie also ist oben genanntes Zitat zu verstehen? Reframing oder Sinneswandel?
Auch wie es dazu kommt, dass er das oft von Rechtspopulisten verwendete Schlagwort „Subsidiaritätsprinzip“ in den Mund nimmt, werdet ihr in unserem Interview erfahren. Markus Wallner zur bisherigen Performance von Schwarz-Blau, seinem Europa-Verständnis und dem Vorarlberger Modell der BürgerInnen-Räte.

 

Das diesjährige Generalthema des Europäischen Forum Alpbach lautet „Diversity & Resilience“. Wie positionieren Sie das Land Vorarlberg in diesem Spannungsverhältnis?

Vorarlberg hat in den letzten Jahrzehnten immer wieder größere Phasen von Zuwanderung erlebt. Sei es aus Kärnten und der Steiermark, aus der Türkei oder vom Balkan. Diese Diversität prägt unser Vorarlberg natürlich nach wie vor ein Stück weit. Ich glaube speziell in der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 hat man sehr gut gesehen, wie sich Vorarlberg genau in jenem Spannungsverhältnis bewegt hat. Auch wenn unsere Aufnahmekapazität begrenzt war und der Zustrom nach Vorarlberg groß war, haben wir uns für eine menschliche Behandlung und für eine menschliche Unterbringung eingesetzt – das war mir als Landeshauptmann außerordentlich wichtig. In Vorarlberg gab es keine Zeltunterkünfte, keine Containerdörfer und alle Gemeinden haben mitangepackt. So konnten wir die Herausforderung schlussendlich bewältigen.

Die Koalitionspartner der ÖVP unterscheiden sich inhaltlich auf Landes- und Bundesebene deutlich. Wie gehen Sie damit um?

Wir führen die Arbeit mit unserem Koalitionspartner im Land unaufgeregt und sachlich weiter. Natürlich ist die Koordinierungsfrage in gewissen Punkten ein wenig größer geworden, aber bei dem „Tempo“ der vorigen Regierung war das natürlich eine ganz andere Situation. Ich finde es gut, dass die aktuelle Regierung Reformen aktiv angeht und Tempo macht. Wenn das zu einem Mehr an Koordinierungsarbeit im Land führt, dann nehme ich das gerne in Kauf.

Die Vorarlberger Bildungspolitik setzt auf das Modell Gesamtschule. Im türkis-blauen Regierungsprogramm wurde nun als Ziel der Erhalt und die Stärkung des Sonderschulwesens angeführt; vor kurzem die Einführung von Deutschförderklassen beschlossen. Inwieweit lassen sich diese Maßnahmen mit der Idee einer “Schule für alle” vereinbaren?

Unser Plan ist keine Gesamtschule, sondern eine gemeinsame Schule mit starker innerer Differenzierung. Das ist ein wesentlicher Unterschied! Wir wollen mit unserem Modell jedes Kind ganz individuell fördern – bei Schwächen, aber auch bei Stärken. Bei den Deutschförderklassen sehe ich keinen Widerspruch. Es geht hier nicht um Segregation, sondern um die Vermittlung der deutschen Sprache. Es hat wenig Sinn, Schülerinnen und Schüler ohne Vorbereitung ins Sprachbad der Mehrheitsgesellschaft eintauchen zu lassen. Zudem werden sie anschließend ja umgehend wieder in den Klassenverband integriert und in Turnen, Zeichnen und Musik nehmen die Schülerinnen und Schüler ohnehin in ganz normalen altersgemäßen Klassen am Unterricht teil.

Im Frühjahr 2018 setzte sich die türkis-blaue Regierung dafür ein, den wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort Österreich als Staatsziel in der Verfassung zu verankern. Wie kann das Land Vorarlberg dabei sein ökologisches und soziales Entwicklungspotential sichern?

Ich glaube, wir sollten uns von dem gegenseitigen Ausspielen von Umwelt und Wirtschaft verabschieden. Auf der einen Seite ist es natürlich selbstverständlich, dass wir unsere Naturräume erhalten, auf der anderen Seite brauchen wir aber auch gewisse Spielräume für unsere Familienunternehmen, um Arbeitsplätze im Land sichern zu können. In Vorarlberg wächst die Wirtschaft jedenfalls ökologisch und der Energieverbrauch des Sektors Industrie und Gewerbe ist in den letzten zehn Jahren nur um fünf Prozent gestiegen, obwohl der Produktionsindex in diesem Zeitraum um 37,5 Prozent gewachsen ist. Eines ist zudem klar: Wir werden weiterhin am ambitionierten Ziel der Energieautonomie bis 2050 festhalten!

Die Wahlen des Europäischen Parlaments 2019 stehen quasi vor der Tür und Österreich wird durch die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft im Juli eine gestaltende Rolle in der EU-Politik übernehmen. Welche Vision haben Sie für die Zukunft der Europäischen Union?

Ein handlungsfähiges Europa, das funktioniert und die Zukunftsherausforderungen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger positiv bewältigt. Dafür muss sich die Politik auf europäischer Ebene viel stärker als bisher am Subsidiaritätsprinzip orientieren, d.h. mehr Eigenverantwortung für die Länder und Regionen einerseits, bei den großen Aufgaben wie Wirtschaft, Forschung, Sicherheit oder im vereinten Kampf gegen illegale Migration jedoch ein effizienteres Europa. Zudem müsste deutlich klarer kommuniziert werden, was uns Europa bringt und bis heute gebracht hat: Mehr Wohlstand, einen starken wirtschaftlichen Aufschwung, Arbeitsplätze und ein höheres Wachstum sowie eine Internationalisierung unserer Wirtschaft.

Wie sehen Sie Vorarlbergs Rolle im Herzen einer scheinbar gespaltenen Europäischen Union?

Vorarlberg hat als besonders wettbewerbsfähige Region in Europa und attraktiver Produktions- und Wirtschaftsstandort von Österreichs EU-Mitgliedschaft nicht nur aufgrund der geographischen Lage im Vierländereck stark profitiert. Es ist uns gelungen, die Chancen, die sich mit dem Beitritt eröffnet haben, zu nutzen – Exportquote, Tourismuszahlen und ein Rekordwert bei den Beschäftigten belegen dies ganz klar. Das hat uns alles geholfen, zum Kreis der erfolgreichsten Regionen in Europa aufzuschließen und dafür sind wir dankbar. Daher sage ich ganz klar, dass unsere Rolle nur in Europa sein kann und wir das Vertrauen der Bevölkerung in die EU wieder mehr gewinnen müssen.

In Wahlkämpfen zwar immer präsent, doch in der politischen Realität Österreichs und auch auf EU-Ebene kaum angekommen: die direkte Demokratie. Das “Don’t smoke”-Volksbegehren mit bereits 591.146 Unterstützungserklärungen und auch das Frauenvolksbegehren zeigen, dass sich die Bevölkerung stärker inhaltlich in die Politik einbringen will. Halten Sie Volksbegehren für geeignete direktdemokratische Instrumente, um diese Forderungen zu stellen?

Die Frage ist immer, in welcher Größenordnung man eine kritische Grenze sieht. Wenn man die beiden genannten Volksbegehren etwa mit dem Gentechnik-Volksbegehren von 1997 – und damals konnte man sich noch nicht online eintragen – mit über 1.2 Millionen Unterschriften vergleicht, spricht das eigentlich nicht für ein größeres Interesse. Nichtsdestoweniger halte ich Volksbegehren für ein wichtiges Element und auch im Regierungsprogramm der Bundesregierung ist festgehalten, dass die direkte Demokratie in Zukunft eine größere Rolle spielen soll. In Vorarlberg haben wir etwa die BürgerInnen-Räte in die Landesverfassung aufgenommen und wir nehmen damit eine Vorreiterrolle ein. Eine Stärkung der direkten Demokratie kann dazu beitragen, um Politikverdrossenheit und den Vertrauensverlust in die Politik und die politischen Institutionen zu bekämpfen. Ich warne allerdings davor, mehr direkte Demokratie überhastet als einziges Allheilmittel zu sehen. Zudem sind nicht alle Fragen dafür geeignet, auf direktdemokratischem Weg beantwortet zu werden.

Um noch kurz beim Thema partizipative Demokratie, welche auch seit 2013 in der Vorarlberger Landesverfassung verankert ist, zu bleiben: Nachdem es um die anfangs gut angenommenen BürgerInnenräte ein wenig ruhiger geworden ist, wurde nun für diesen Herbst ein neuer landesweiter BürgerInnenrat zum Thema Mobilität angekündigt. Was für einen Mehrwert erhoffen Sie sich durch einen BürgerInnenrat zu diesem Thema?

Ich würde nicht sagen, dass es um dieses Thema ruhiger geworden ist. Mit den letzten beiden Bürgerratsthemen Grund und Boden sowie Mobilität haben wir zwei derzeit sehr relevante Themen aufgegriffen und beim letzten Bürgerrat sind einige Ergebnisse des Bürgerrats in die neue Raumplanungs- und Grundverkehrsverordnung des Landes eingeflossen. Beim Thema Mobilität erhoffen wir uns natürlich, dass die ausgewählten Bürgerinnen und Bürger ihre alltäglichen Erfahrungen miteinbringen und damit zu einer bestmöglichen Weiterentwicklung des Verkehrskonzepts beitragen. Der Prozess ist nicht nur transparent, sondern erhöht auch das Commitment.  

Werden Sie das EFA dieses Jahr besuchen?

Nein, leider wird es sich dieses Jahr aus terminlichen Gründen zeitlich nicht ausgehen.

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