Eindrücke vom EFA 2017
ein Text von Nicole Johler
Mein Kopf ist voll, mein Mund ist leer, es fehlen mir die Worte. In Alpbach wurde so viel gesagt, ich habe versucht, alles wie ein Schwamm aufzusaugen und jetzt muss ich erst einmal verarbeiten, was ich da eigentlich alles begierig aufgenommen habe. Die vielen Gesichter, Ideen und Perspektiven überschwemmen mich und ich bade in den Erinnerungen.
Als ich meine Reise nach Alpbach antrat, wusste ich nicht, was mich erwarten würde. Ganz aufgeregt wie ein Kind vor seinem ersten Schultag, das endlich lernen will, wie die Welt da draußen funktioniert. Verrückt eigentlich, dass man sich erwartet, in einem kleinen abgeschiedenen Dorf in den Bergen Tirols mehr über die große Welt da draußen zu lernen. Aber während dem Forum spiegelt dieses idyllische Bauerndorf die Welt da draußen wider; ich hatte die Möglichkeit, mit Menschen von A bis Z, von Argentinien bis Zimbabwe zu reden.
Aber irgendwann in Alpbach, vielleicht zu fortgeschrittener Stunde und bei einem Bier im Jakober, wurde mir trotz vernebelten Gedanken, ob wegen dem niemals endenden Informationsinput, dem Schlafentzug oder dem vor mir stehenden Bier, eine Sache glasklar. Wir predigen Konflikt und Kooperation, aber wie sollen wir den Konflikt erkennen und die Kooperation erfolgreich bewerkstelligen, wenn wir einander nicht richtig zuhören. Körperlich anwesend vor seinem Gegenüber zu stehen und bereits das nächste Argument im Geiste vorzubereiten, ist nicht Zuhören.
Zuhören bedeutet, jemand anderem als sich selbst seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken und dann nachzufragen, nicht seinen Standpunkt zu erläutern und auch nicht in eine Frage verpackt zu beweisen, wie viel man eigentlich schon weiß. Denn hier in Alpbach ist jeder ein Experte. Wir sollten versuchen, nichts zu wissen und unsere Vorurteile auszu- blenden. In Alpbach sind so viele interessante Persönlich- keiten und anfangs gab ich meinem Gegenüber – wie wohl auch mein Gegenüber mir – gefühlte fünf Minuten, um sich selbst zu „pitchen“. In dieser kurzen Zeit muss man durch die oberflächliche Präsentation entscheiden, ob jemand die Zeit wert ist, oder ob man besser gleich weiter geht. So habe ich auch Abraham kennengelernt. Abraham kommt aus Palästi- na; eigentlich glaubte ich, schon viel über die Situation in Pa- lästina und Israel zu wissen, aber Abraham stockt während dem Sprechen. Dieses Mal habe ich zugehört. Wieso zögert er beim Aufzählen der mir wohl bekannten Fakten? Ich hake nach und erfahre, dass er die Situation nicht so sieht, wie ich über sie Bescheid zu wissen glaube. Er will wieder zurück und ist der Meinung, dass Israeliten und Palästinenser mehr ge- meinsam haben als sie trennt.
Es ist schwierig, von diesem Höhenflug, in dem man sich in Alpbach befindet, wieder herunterzukommen. Naja, Alpbach liegt auf über 1000m, da muss man geistig und körperlich wieder herunterkommen. Wieder zurück auf dem Boden der Tatsachen angelangt, sollte aber auch reflektiert werden. Alpbach soll unser kritisches Denken fördern, also müssen wir auch Alpbach kritisch betrachten.
Deswegen hier mein Appell. Nicht an Alpbach, sondern an jeden Einzelnen. Denn, wenn wir ehrlich sind, ist Alpbach ein Konstrukt, das durch jeden Einzelnen von uns gefüllt und definiert wird und dadurch erst eine Identität erhält. Versucht in Zukunft, aufrichtig zuzuhören. Nur Worte und Standpunkte treten nach außen, aber dahinter verbergen sich die zugrundeliegenden Interessen. Wir sollten miteinander reden, nicht aufeinander einreden. Erst wenn wir zuhören, können wir Konflikte überhaupt erkennen und mit der Kooperation beginnen.
An keinem anderen Ort hatte ich jemals das Gefühl, dass die Grenzen von Raum und Zeit so sehr verschwimmen. Die Tage und Nächte ziehen in Alpbach in einem rasantem Tempo und gefüllt mit unendlich vielen neuen Eindrücken an einem vorbei, die Diskussionen sind grenzenlos, behandeln die Vergangenheit und lassen einen Blick in die Zukunft erahnen. Man muss sich nur aus der Haustür wagen, um weltoffene Menschen aus den verschiedensten Ländern kennen zu lernen und sich auszutauschen. Alpbach hat sich für mich angefühlt wie ein Vakuum in Raum und Zeit, Unmögliches wird möglich und Grenzen werden von der frischen Bergbrise davongeweht.