Seit etwa einem Jahr bin ich Teil der Forschungsgruppe von Professor Reto Knutti an der ETH Zürich. Prof. Knutti war Hauptautor des Weltklimaberichts und ist einer der renommiertesten Klimaforscher der Schweiz. Im Zuge eines Workshops am Barcelona Supercomputing Center habe ich mit ihm unter anderem über das Fliegen und die Fridays4Future-Bewegung gesprochen.
Interview von Lukas Brunner
Lukas: Wir sind hier in Barcelona bei einem Workshop zur neuesten Generation von Klimamodellen, die für den kommenden Weltklimabericht verwendet werden. Du bist mit dem Flieger angereist, weil es sich für dich zeitlich nicht anders ausgeht. Wie oft fliegst du circa im Jahr und was hältst du davon, dass es gerade in der Klimaforschung viele internationale Konferenzen gibt, die oft nur mit dem Flugzeug erreichbar sind?
Knutti: Letztes Jahr zwei Mal, davon einmal interkontinental. Dieses Jahr ist es das erste und möglicherweise das letzte Mal, vielleicht gibt es noch ein zweites. Ich versuche das Fliegen zu minimieren, so gut es geht, aber ganz eliminieren kann man es vermutlich nicht. Wenn man international mit den Besten mithalten will, muss man sich mit den Besten messen und austauschen – zumindest so wie das Wissenschaftssystem momentan ausgelegt ist. Wir messen Exzellenz unter anderem über internationale Sichtbarkeit, ob das gerechtfertigt ist, kann man sich fragen. Vielleicht muss man das ändern, damit man wegkommt vom Erbsenzählen, immer mehr Publikationen, immer mehr Zitierungen, aber das wäre ein Wandel in der Kultur, wie man Wissenschaft betreibt. Das kann eine Institution nicht, aber es ist klar, dass man einen ersten Schritt setzen muss.
Wir haben an der ETH ein Programm gestartet, um die Flugemissionen zu senken. Im Moment sind wir bei einer Selbstverpflichtung von ca. 11% Reduktion von CO2-Emissionen verglichen mit den vergangenen Jahren. Ich glaube, 20% wären auch noch möglich, 30% tun ein bisschen weh und alles darüber tut mehr weh. Da muss man dann vermutlich grundsätzlich hinterfragen, wie wir uns austauschen und wie wir Forschung betreiben – ob diese großen, internationalen Programme zwingend immer sein müssen.
Viele Menschen finden es schwierig einzuschätzen, was die Auswirkungen ihrer Aktionen auf das Klima wirklich sind. Was sind denn die größten Beiträge zum CO2-Fußabdruck von EuropäerInnen und wo kann man am effektivsten einsparen?
Ich kenne nur die Zahlen der Schweiz auswendig. Da sind wir bei etwa einem Drittel der CO2-Emissionen in den Gebäuden (Heizungen vor allem), einem Drittel im Verkehr (vor allem private Mobilität mit Autos) und einem Drittel in der Industrie. Die Schweiz hat das Glück, dass sie in der Elektrizität praktisch sauber ist.
Die Fliegerei ist weltweit noch ein recht kleiner Teil, etwa 2-3% der globalen Emissionen. In der Schweiz liegt dieser Wert jedoch schon zwischen 15% und 20%. Die meisten Menschen fliegen einfach noch nicht, aber wenn die Wachstumsraten weiter so hoch bleiben, dann wird es bald zu einem großen Problem werden. Da man die Fliegerei technisch nicht so einfach ersetzen kann, bedarf es jedoch einer Verhaltensänderung – diese ist immer extrem schwierig zu erreichen, technische Innovation ist einfacher. CO2 ist jedoch im Prinzip in allen Sektoren – es gibt nicht eine Lösung, sondern es gibt ganz viele mögliche Maßnahmen. Bei den Gebäuden ist es am einfachsten. Im Automobilbericht wären erste Schritte im Grunde auch einfach mit kleineren, leichteren Fahrzeugen, mit Elektromobilität, aber man braucht auch da Anreize und Rahmenbedingungen, damit die Leute umsteigen. Das fehlt im Moment.
Seit einigen Wochen schwänzen SchülerInnen in ganz Europa und der Welt jeden Freitag die Schule, um im Zuge von Fridays4Future für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Es gibt einiges an Widerstand dagegen, das österreichische Bildungsministerium hat beispielsweise kürzlich klargestellt, dass die Teilnahmen an diesen Demonstrationen jedenfalls als unentschuldigte Fehlstunden zu werten sind [1]. Auf der anderen Seite gibt es viel Unterstützung auch von Seiten der Wissenschaft. Unter dem Motto Scientists4Future haben schon mehr als 26.000 KlimaforscherInnen aus dem deutschsprachigen Raum eine Erklärung unterschrieben, die die Anliegen der Jugendlichen unterstützt.
Wie schätzt du die momentane Situation ein? Wird genug für den Klimaschutz getan oder brennt unser Haus schon, wie es Greta Thunberg ausgedrückt hat?
Das ist immer ein bisschen eine Ansichtssache, ob das Haus brennt oder nicht. Das ist nicht eine wissenschaftliche Ausdrucksweise, aber es ist klar: Wenn die Welt die Klimaziele erreichen will, die sie sich gesetzt hat, dann sind wir nicht auf Kurs. Es passiert nicht annähernd genug, weder in der Schweiz noch in Österreich noch sonst irgendwo. Wir sind eher auf Kurs für drei oder mehr Grad. Das heißt, die Fakten sind korrekt und es muss mehr passieren, um das zu erreichen, was wir völkerrechtlich eigentlich schon ratifiziert haben.
Das ist auch der Grund, wieso sich die Wissenschaft prominent zu Wort gemeldet hat. Wir haben explizit gesagt, wir unterstützen nicht den Streik, wir verurteilen ihn auch nicht, die jungen Leute sollen selbst entscheiden, ob sie streiken oder nicht. Aber wir haben gesagt: Die Fakten sind korrekt, es muss mehr geschehen, um das zu erreichen, was man verabschiedet hat. Wir unterstützen die jungen Menschen dabei, sich in diese Diskussion einzubringen. Wir sagen ihnen aber auch, sie sollen beginnen Verantwortung zu übernehmen – mit dem Streiken alleine ist es natürlich nicht getan, das gibt Aufmerksamkeit, aber schlussendlich geht es um Verantwortung und Lösungen, die man gemeinsam erarbeiten muss.
„Die Fakten sind korrekt, es muss mehr geschehen, um das zu erreichen, was man verabschiedet hat.“
Prof. Knutti zu den Forderungen von Fridays4Future
Du hast die Klimaziele erwähnt: Viele können sich unter einer Erhöhung der globalen Mitteltemperatur um eineinhalb oder zwei Grad nicht viel vorstellen. Was sind spürbare Auswirkungen, die der Klimawandel in Europa in den nächsten 50 bis 100 Jahren haben wird, insbesondere wenn wir nicht handeln?
Die Auswirkungen sind extrem vielfältig und sie sind auch nicht überall zwingend nur negativ. Sie sind jedoch mehrheitlich negativ, vor allem bei großen Veränderungen – an kleine Veränderungen kann man sich zum Teil noch anpassen. Ein bisschen wärmer ist vielleicht gut für die Pflanzen, weil sie dann besser wachsen, aber wenn es zu heiß wird oder auch zu trocken, dann wachsen sie gar nicht mehr. Bei diesen großen Veränderungen überwiegen die negativen Auswirkungen deutlich. Im Bereich von meteorologischen Komponenten sind es die Zunahme von Hitzetagen und längeren Hitzewellen oder auch die Zunahme von Starkniederschlägen. Das heißt, wenn es regnet, dann regnet es sehr viel. Das kann man physikalisch gut begründen, weil warme Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen und transportieren kann. In der Schweiz und Südeuropa sind es zunehmend auch trockene Sommer, die für die Landwirtschaft ein Problem sind. Aber auch das Ansteigen der Schneefallgrenze, damit Probleme im Wintersport, das Schmelzen der Gletscher, Auswirkungen auf die Wasserversorgung und die Wasserwirtschaft. Nicht unbedingt Trinkwasser, aber die Bewässerung, Energieproduktion, Kühlkapazität von Kernkraftwerken, die Schifffahrt, es ist sehr vielseitig.
Was man auch nicht vergessen darf: Man hat immer das Gefühl, die Auswirkungen seien nur innerhalb vom eigenen Land. Das stimmt für die direkten Auswirkungen, aber wenn man das im Sinne von Wohlstand anschaut, dann verdienen wir unser Geld hier nicht mit Kühen und Käse. Wir verdienen unser Geld mit Dienstleistungen und Innovation, mit Banken und Versicherungen. Wenn es den Leuten außerhalb der Schweiz schlecht geht, dann geht es auch der Schweiz finanziell schlecht, denn der größte Teil von unserem Geld kommt nicht aus dem Inland, sondern aus dem Ausland. Wir sind stark betroffen von dem, was in dieser globalisierten Welt außerhalb des Landes passiert.
Zum Abschluss: Bist du als Klimaforscher optimistisch, dass wir es schaffen werden, effektive Klimaschutzmaßnahmen zu implementieren? Und was wären Gründe für einen solchen Optimismus?
Ich glaube, man muss hier unterscheiden zwischen der technisch-wirtschaftlichen Machbarkeit und der gesellschaftlich-politischen Machbarkeit. Alle Studien deuten darauf hin, dass es wirtschaftlich bezahlbar und technisch machbar wäre, den größten Teil von diesen Klimaveränderungen abzubremsen, dass man also ein Zwei-Grad-Ziel wahrscheinlich erreichen könnte. Ob es dann aber politisch umsetzbar ist, ob die Gesellschaft das will, das steht im Moment in den Sternen und das ist keine Frage der Klimaforschung, das ist eine Frage des politischen Willens.
Ich glaube, wir könnten, wenn wir wollten, aber im Moment wollen wir noch nicht genug. Bis vor einem halben Jahr habe ich gesagt, ich bin eher pessimistisch, weil ich nicht spüre, dass die Gesellschaft diesen Willen zur Veränderung hat. Was jedoch im letzten halben Jahr passiert ist, insbesondere mit den jungen Menschen, die auf die Straße gehen – man spürt irgendwie einen Umbruch. Die Frage ist, ist der kurzfristig und dann geht es wieder zurück zum normalen Zustand oder ist er wirklich andauernd? So oder so, es braucht definitiv mehr, als was wir bis jetzt getan haben, um die Klimaziele zu erreichen.