Überwältigend; so fühlen sich die ersten Tage in Alpbach an. Fast stündlich treffe ich interessante neue Menschen. Impressionen strömen konstant auf mich ein. Seminare, hitzige Diskussionen und Partys im Jakober lassen Tag und Nacht ineinander überfließen.
Alpbach und ich, wir gehen auf Tuchfühlung.
Doch, was ist Alpbach? Ein Dorf, ein Event, eine Institution?
Ich fühle, wie ich mit jeder Interaktion dem vielzitierten „Spirit of Alpbach“ näherkomme. Ich entdecke die Seminare als „Herz von Alpbach“ und höre von der „europäischen Seele“ des Forums. Mehr und mehr habe ich das Gefühl, eine Persönlichkeit Alpbach kennenzulernen. Eine Persönlichkeit, die aus der Wechselwirkung tausender Personen, ihrer Geschichten und der Geschichte des Forums emergiert und wieder auf diese zurückwirkt.
Alpbach hat seinen eigenen Charakter. Man könnte sagen, es ist europäisch, innovativ, selbstbewusst und vielleicht ein bisschen abgehoben. Doch diese Begriffe sind oberflächlich.
„Alpbach, was bewegt dich wirklich?“, frage ich mich.
Nach den ersten durchwegs positiven Seiten Alpbachs werde ich mit einem dunklen Charakterzug konfrontiert: Verunsicherung. Wir reden von Trump und wie der Populismus uns Eliten überrumpelt hat. Wir reden vom postfaktischen Zeitalter, von der neuen Weltordnung, internationalen Konflikten und vom Klimawandel. Und was jetzt?
Es folgen sorgfältig gewählte Worte der Ratlosigkeit. Von den Panels strömt kollektives Unwohlsein. Ein Gefühl von Kontrollverlust liegt in der Luft. „Alpbach, bist du gekränkt?“, frage ich mich, „Alpbach, hast du Angst?“.
Mit einem dumpfen Gefühl im Bauch verlasse ich das Konferenzzentrum. Es zieht mich ins Grüne, weg von Trump und der neuen Weltordnung und unter den nächstgelegenen Baum. Unweit von mir rückt ein junger Bauernbub zufrieden mit der Heugabel ein Grasbüschel zurecht. Linderung für meinen Weltschmerz.
Mit der Zeit füllt sich der Platz unter dem Baum mit Studierenden. Wir lernen uns kennen, diskutieren und genießen den Tag. Das Dorf Alpbach erdet uns. Wir trauen uns wieder zu träumen. Probleme können gelöst werden, Konflikte können beigelegt werden. Es liegt an uns. „Lass uns träumen, Alpbach!“, sage ich zu mir.
Die Persönlichkeit Alpbachs ist auf weiten Spannungsbögen erbaut: Jung und Alt, Bergbauerndorf und Elitentreff, kollektiv und individuell, realistisch und verträumt. Die Zeit in Alpbach ist eine Zeit mit Alpbach. Sie hinterlässt Eindrücke in Form von Fakten, Kontakten, aber vor allem von Gefühlen. Eindeutig, die Begegnung mit Alpbach verändert eineN. Und so ist nach dem Forum die Frage nicht mehr „Alpbach, wer bist du?“, sondern „Alpbach, und wer bin ich?“.
David Sauerwein
Stipendiat 2017